Von Benedikt Bögle
Im Strafrecht gibt es viele „Klassiker“: Fälle, die immer wieder zitiert werden, weil sie zum ersten Mal oder in besonders deutlicher Weise ein Problem aufgezeigt haben. Für das Studium haben diese Fälle einen großen Vorteil: Sie veranschaulichen ein Problem. Aus einer abstrakten Beschreibung irgendwelcher Problemfelder wird ein ganz klarer, prägnanter Fall. Man versteh, was eigentlich das Problem genau ist. Und erst dann kann man sich mit den Lösungen vertraut machen. Einen großen Teil dieser Fälle bietet nun Professor Christian Fahl in einem sehr knappen Band: „Strafrechts-Klassiker. Die wichtigsten Fälle aus AT und BT“ ist bei C.H. Beck in der Reihe „Jura kompakt“ erschienen.

Im Vorwort greift Fahl die Bedeutung der Fälle auf: „Das deutsche Recht ist kein „case law“ – dieses Buch daher auch kein „case book“. Es gibt aber auch im deutschen Recht „Klassiker“, bei denen älteren Herren (und Damen) noch heute Tränen der Rührung in die Augen schießen vor Erinnerung an ihre eigenen Studienzeiten!“ Diese Fälle hat Fahl gesammelt und aufbereitet. Da ist beispielsweise der „Lederriemen-Fall“, bei dem sich die Frage nach dem Vorsatz stellt. Kann jemand vorsätzlich handeln, wenn ihm der Erfolg mehr als ungelegen kommt, er ihn eigentlich überhaupt nicht billigt? Oder der „Sirius-Fall“: Wo verläuft die Grenze zwischen Selbstmord und Mord in mittelbarer Täterschaft?
Diese Fälle wirken manchmal wie erfunden – etwa der „Katzenkönig-Fall“. Andere kann man sich herrlich vorstellen. Alle haben eines gemeinsam: Sie gaben der Rechtsprechung wie auch der Lehre Rätsel auf, weil sie eben nicht einfach zu lösen sind. In den meisten Fällen gibt es mehrere denkbare Wege, von denen kaum einer vollkommen ausgeschlossen erscheint oder gar ungehbar. Der Aufbau ist bei Fahl immer gleich: Zunächst fasst er den Fall zusammen. Bemerkenswert ist die Kürze, die Prägnanz, mit der Fahl seine Fälle vorstellt. So kanpp als möglich, ohne dass irgendwelche Informationen untergehen würden. Sodann fasst der Autor das Problem juristisch zusammen: Wo liegt der Knackpunkt? Es folgt die Lösung der Rechtsprechung (meist hat der BGH entscheiden), die Kritik der Literatur und schließlich weiterführende Hinweise zu ähnlich gelagerten Fällen, Änderungen der Rechtsprechung oder auch des Gesetzes.
Besonders die Kürze ist dabei hervorzuheben. Dieser Band kann schnell gelesen werden. Gleichzeitig bietet der Autor auch weiterführende Hinweise, meist zu anderen von ihm selbst geschriebenen Werken. Diese hätten um einer besseren Lesbarkeit willen zwar besser als Fußnoten geboten werden sollen, sind gleichwohl aber doch sinnvoll. An der ein oder anderen Stelle hätte man sich vielleicht auch ein bisschen klarere Struktur gewünscht. Oft wird nicht so ganz deutlich, ob die Ansicht des BGH eigentlich unbestritten geblieben ist oder heftig kritisiert wurde. Auch geben einige der Fälle nicht nur eines, sondern gerade mehrere Probleme auf; in den Ausführungen werden diese Problemkreise dann aber manchmal nicht ganz klar voneinander getrennt.
Und dennoch: Ein hervorragendes Werk, das jedem Studenten nur empfohlen werden kann. Die Ausführungen dürften sich zwar eher an höhere Semester richten; die lobenswerte Kürze setzt eben auch eine gewisse Konzentration auf das Wesentliche voraus. Doch bietet dieser Band die wesentlichen Fälle der deutschen Strafrechtsgeschichte, die sich durch die Literaturhinweise immer noch ergänzen und vertiefen lassen.
Christian Fahl: Strafrechts-Klassiker. Die wichtigsten Fälle aus AT und BT
C. H. Beck 2020, 157 Seiten, EUR 9,90