Schwabe: Arbeitsrecht

Von Benedikt Bögle

„Lernen mit Fällen“ ist eine Reihe von Lehrbüchern, die allesamt von Winfried Schwabe herausgegeben werden und einem gleichen Schema folgen – so auch der Band „Arbeitsrecht“, in 11. Auflage bei Boorberg erschienen. 20 Fälle bilden diesen „Grundkurs“, wie es im Titel heißt. Am Beginn steht jeweils ein mehr oder weniger kurzer Fall, den der Autor anschließend entwickelt und erklärt. Schließlich bietet er für jeden Fall noch ein Gutachten, das zeigt, wie die entwickelte Lösung in einer Klausur präsentiert werden müsste.

Grundsätzlich ist es erstaunlich, wie viel Stoff Schwabe in nur 20 Fällen unterbringen kann. Der Inhalt reicht vom Arbeitnehmerbegriff über Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis hin zu Grundzügen des kollektiven Arbeitsrechts. Der „Preis“ für diese Fülle an Themen ist, dass keiner der Fälle isoliert für sich steht, sondern immer wieder mit (teilweise mehreren Exkursen) begleitet ist, die den Horizont über den jeweiligen Fall hinaus weiten. Ein Beispiel: Im ersten Fall begehrt ein „freier Mitarbeiter“ die Feststellung, dass in Wahrheit keine freie Mitarbeiterschaft, sondern ein Arbeitsverhältnis bestehe. Im Fall nicht angelegt, vom Autor aber dennoch behandelt, ist eine Rechtsfolge dieser Feststellung: Regelmäßig muss der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, der Arbeitnehmer aber einen Teil des Lohnes zurückzahlen, weil er den – regelmäßig höheren – Lohn eines freien Mitarbeiters zu Unrecht erhalten hat.

Auf diese Weise geraten die Fälle sehr umfangreich – eben weil vieles mit behandelt werden muss, was eigentlich zum Fall gar nicht gehört. Dieses Vorgehen fordert höchste Konzentration, ist aber noch immer gewinnbringend: Indem der Stoff nicht wie einem Lehrbuch präsentiert wird, gibt es immer einen konkreten Fallbezug. Das ist die Stärke dieses Bandes wie der ganzen Reihe. Dass manche Schwerpunktsetzung auch anders hätte erfolgen können, versteht sich von selbst. Die Kündigung hätte ausgebaut werden können, die Bezüge zum kollektiven Arbeitsrecht hätten – etwa aus bayerischer Perspektive – in Teilen unterbleiben können. Der Übersichtlichkeit des Bandes würde es sehr dienen, wären die – sehr zahlreichen! – Literaturangaben in Fußnoten abgedruckt statt im Fließtext. Ebenfalls schade ist, dass dem Band nicht wenigstens die wichtigsten Prüfungsschemata beigegeben sind. Nichtsdestotrotz: „Arbeitsrecht“ von Schwabe ist gerade für das Studium sehr zu empfehlen!

Winfried Schwabe: Arbeitsrecht. Grundkurs
Boorberg, 11. Aufl. 2021, 268 Seiten, EUR 19,80

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Mündliche Prüfung im Öffentlichen Recht

Von Benedikt Bögle

Ein sehr knapper und übersichtlicher Band zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung im Zweiten Staatsexamen ist bei C.F. Müller erschienen: „Die mündliche Assessorprüfung im Öffentlichen Recht“. Die beiden Autoren Jonathan Möller und Thomas Kühl-Dominik versammeln 12 exemplarische Prüfungsgespräche, die alle demselben Aufbau folgen. Am Anfang steht – für mündliche Prüfungen wohl üblich – ein sehr knapper Sachverhalt. Dieser wird sodann in einem Gespräch zwischen Prüfer und Kandidat entwickelt und gelöst. Am Ende steht ein kurzer Kasten, der die wesentlichen inhaltlichen Punkte zusammenfasst. Abgerundet werden die Gespräche mit einer kurzen Literaturempfehlung.

Inhaltlich decken die 12 Fälle einen großen Bereich des öffentlichen Rechts ab: Verwaltungsprozessrecht, Allgemeines Verwaltungsrecht, Besonderes Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht. Dabei liegen die Schwerpunkte – und auch das dürfte für die mündliche Prüfung exemplarisch sein – unterschiedlich: Mal geht es breit um die Zulässigkeit einer Klage oder eines Antrags, mal eher um die Begründetheit. Insgesamt nimmt der einstweilige Rechtsschutz einen großen Raum ein, wobei der Fokus hier eindeutig bei der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO liegt. Ebenfalls eingebaut sind kleine „Schlenker“, bei denen der vorliegende Fall Anlass zu einem Exkurs ist. Die Tenorierung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung kommt immer wieder vor, anwaltliche Überlegungen zur Taktik könnten womöglich etwas bereiter behandelt werden. Gleiches gilt für das Europarecht, das – mit Ausnahme kurzer Überlegungen zur Normenhierarchie – keine Rolle spielt.

Der Band schafft es so, auf knapp 100 Seiten wesentliche Aspekte des Verwaltungsrechts in Erinnerung zu rufen. Eine vertiefte Herleitung von Problemen kann, wie die Autoren im Vorwort zurecht bemerken, nicht Gegenstand eines solchen Bandes sein. So gut der Band in die „richtige Lösung“ der gestellten Fragen einführt, so wenig bereitet er leider konkret auf die mündliche Prüfung vor. Die Prüfungsgespräche sind beinahe durchgehend „perfekt“: Der Kandidat antwortet stets richtig, allenfalls gibt er einmal eine etwas vorschnelle Antwort. Wichtige Fragen, die man sich vor der mündlichen Prüfung stellt, können so nicht beantwortet werden. Wie reagiere ich, wenn ich eine Antwort nicht weiß? Wie gehe ich souverän mit einer falschen Antwort um? Darf ich mich selbst korrigieren – und vor allem: Wie? We strukturiere ich meine Antworten? Antworten auf diese Fragen bietet der vorliegende Band nicht; es entspricht nicht seiner Konzeption – anders etwa als „Die mündliche Prüfung zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung“ von Dallmayer u.a. Trotzdem ist der vorliegende Band gelungen, da er auf denkbar knappen Raum zeigt, wie sich Prüfungsgespräche entwickeln können und welche Antworten richtig sind.

Jonathan Möller / Thomas Kuhl-Dominik: Die mündliche Assessorprüfung im Öffentlichen Recht
C.F. Müller 2021, 98 Seiten, EUR 20

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Gefrorenes Herz

Von Benedikt Bögle

In Kopenhagen wird ein Toter gefunden: Der Präsident des Roten Kreuzes wurde getötet und an der Niederlassung seiner Organisation aufgehängt. Auf seinem Bauch wurde ein Symbol eingeritzt, das für die Polizei zum Rätsel wird. Es könnte einen Ausschnitt aus dem „eisernen Kreuz“ darstellen. Haben Rechtsextreme den Präsidenten getötet? Das würde zwar zum Einsatz des Opfers für Geflüchtete passen; weitere Anhaltspunkte gibt es dafür aber eigentlich nicht. Die Ermittler um Mikael Dirk kommen nicht weiter. Plötzlich aber meldet sich Maria Just, Historikerin am Polizeimuseum, bei den Ermittlern: Sie hat das Symbol in den Akten eines Doppelmordes gefunden, der vor mehreren Jahrzehnten begangen wurde. Über diesen Fall finden die Ermittler endlich die richtige Spur. Sie führt nicht in das rechtsradikale Milieu, sondern in ein politisches Projekt, das vor mehreren Jahrzehnten in Grönland gestartet wurde. Im letzten Augenblick gelingt den Ermittlern die Aufklärung des Falles.

„Gefrorenes Herz“ ist der erste Krimi um die Polizeihistorikerin Maria Just. Die beiden Autorinnen Line Holm und Stine Bolther haben einen packenden und grandiosen Krimi geschaffen. Der Plot entwickelt sich beständig weiter und wird um mehrere Vrästelungen reicher. Gleichwohl verliert man als Leser nicht den Überblick, sondern wird immer tiefer in eine Geschichte hineingezogen, die grundlegende Fragen nach dem Menschsein, nach dem Kindsein und nach dem Elternsein stellt. Ein gelungener Krimi.

Line Holm / Stine Bolther: Gefrorenes Herz
Heyne 2022, 572 Seiten, EUR 15

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Die Vermissten von Boundary

Von Benedikt Bögle

In Boundary, dem Grenzland zwischen Kanada und den USA, verbringen die Menschen ihren Sommer: Sie leben in ihren Ferienhäusern, verbringen die Tage am See und die Abende an ihrem Grill. Diese Ferienidylle wird zerstört, als ein Mädchen tot aufgefunden wird: Zaza scheint im Wald in eine Tierfalle getreten zu sein, die vor Jahren ein Trapper ausgelegt haben musste. Die Polizei ermittelt und der zuständige Kommissar Stan Michaud hat einen Verdacht: Er vermutet ein Verbrechen, findet dafür aber keinen einzigen Anhaltspunkt. Nur wenige Tage später aber wird auch Sissy vermisst, Zazas beste Freundin. Auch sie wurde von einer Trapper-Falle verletzt; jetzt aber ist offensichtlich, dass ein Gewaltverbrechen vorliegt: Ihre Haare wurden abgeschnitten, ein Schlag auf den Kopf ist nachweisbar. Langsam nur kommt die Polizei voran und kann am Ende doch den wahren Täter ermitteln.

„Die Vermissten aus Boundary Pond“ von Andrée Michaud ist ein Mischung aus Krimi und „literarischem Thriller“. Die Autorin legt großen Wert auf die Zeichnung der Charaktere: Der Polizist, der in seinen Fällen und den menschlichen Abgründen versinkt; das kleine Mädchen, das die beiden Opfer bewunderte und am Ende zur Lösung des Falles mit beiträgt. Michaud zeichnet ein finsteres Bild einer spieß-bürgerlichen Gesellschaft, in der sich die grausamen Verbrechen ereignen können. Man findet in die Sprache des Thrillers nur schwer hinein – auch, weil die Autorin beinahe komplett auf Dialoge verzichtet und die Aussagen der Protagonisten in indirekter Rede wiedergibt, teilweise in verschachtelten Sätzen. Mit der Zeit gewähnt man sich jedoch an den Stil und wird auch von dem Fall immer weiter in Beschlag genommen.

Andrée A. Michaud: Die Vermissten aus Boundary Pond
btb 2021, 349 Seiten, EUR 10

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Die Unverbesserlichen

Von Benedikt Bögle

Guillaume Lipaire ist eine Nummer für sich: Der Deutsche lebt in Port Grimaud an der Cote d’Azur und verdient sein Geld als Hausmeister für reiche Familien, die am Meer ein Ferienhaus haben und jemanden brauchen, der es betreut. Das Praktische daran: Lipaire braucht natürlich die Schlüssel der Häuser und kann deswegen ungehindert in den Häusern ein- und ausgehen. Mal nimmt er eine Flasche Wein mit, mal bedient er sich an den Zigarren, immer wieder aber nutzt er eines der Häuser während der Abwesenheit der Eigentümer für sich selbst. Der einzige Nachteil: Bevor die wahren Eigentümer zurückkehren, muss Lipaire aufräumen und putzen. Sein junger Gehilfe Karim geht ihm zur Hand. Das System funktioniert gut, bis die beiden im Haus der Familie Vicomte eine Leiche finden. Die muss natürlich verschwinden, würde doch sonst die illegale Untervermietung auffliegen.

Lipaire und Karim beseitigen nicht nur mehr oder weniger unauffällig die Leiche. Sie finden auch heraus, dass der Tote die Familie Vicomte offenbar den Weg zu einem großen Schatz verkaufen wollte. Der Architekt von Port Grimaud – so scheint es – muss irgendwo in der Stadt einen Goldschatz versteckt haben. Doch ihre Ermittlungen fliegen auf und immer mehr Menschen beteiligen sich an der Suche nach dem Schatz: Der ehemalige Fremdenlegionär Paul, die Handy-Händlerin Delphin, die Tochter des Bürgermeisters und die alte Madame Lizzy. Sie sind die „Unverbesserlichen“.

„Die Unverbesserlichen“ ist der neue Krimi von Klüpfel und Kobr, die mit ihrer Reihe um den Allgäuer Kommissar Kluftinger berühmt geworden sind. Sie entwickeln eine spannende Geschichte, die die kleine Truppe immer näher an den Schatz führt, am Ende aber doch eine Überraschung bereithält. Die Gruppe ist wild zusammengewürfelt und dennoch bringt jeder der „Unverbesserlichen“ eine für die Gruppe hilfreiche Eigenschaft ein. Dabei zeichnen die beiden Autoren auch hier ihre Charaktere sehr stark und geben ihnen einen Hang ins Komische. Dabei sind sie aber zurückhaltender als in den Kluftinger-Krimis, in denen die Charaktere bisweilen zur bloßen Karikatur geworden sind. „Die Unverbesserlichen“ ist ein unterhaltsamen, lesenswertes Buch.

Volker Klüpfel / Michael Kobr: Die Unverbesserlichen
Ullstein 2022, 492 Seiten, EUR

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Kommt der Messias noch?

Von Benedikt Bögle

Der Mensch sehnt sich nach Heil und nach Erlösung. Gerade angesichts einer kriegerischen und gewaltsamen Welt stellen wir uns die Frage: War es das schon? Ist das Ziel der Welt Tod und Grausamkeit und Ungerechtigkeit? Judentum und Christentum können auf diese Frage mit ihrer Hoffnung auf den Messias antworten – der in beiden Religion freilich unterschiedlich gedeutet wird. Bei Herder ist nun ein Sammelband der jüdischen Theologie erschienen, der einen auf den ersten Blick ernüchternden Titel erhalten hat: „Der Messias kommt nicht. Abschied vom jüdischen Erlöser“. Die Hoffnung auf einen Messias, so schreibt Walter Homolka in seinem Vorwort, „stieg in Zeiten des nationalen Unglücks, etwa nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 u.Z.“.

Das Buch besteht im Wesentlichen aus drei großen Kapiteln: Juni Hoppe schreibt über die Messiasvorstellungen im antiken Judentum, Daniel Krochmalnik über den Messias im rabbinischen Judentum, Walter Homolka schließlich über die Neuzeit bis hin zur Gegenwart. Den Band durchzieht dabei ein tiefes Verständnis dafür, dass sich Messiasvorstellungen einerseits gewandelt haben, andererseits immer schon vielfältig waren: Der Messias konnte etwa in der Antike als eher priesterlicher, aber auch als kriegerische Gestalt verstanden werden. Gleichfalls konnte vom Messias erwartet werden, er würde frühere (politische) Zustände wiederherstellen oder aber einen bisher noch nicht gekannten utopischen Zustand bringen. Der Titel – „Der Messias kommt nicht“ – kann daher in doppelter Weise verstanden werden: Einerseits gab es immer wieder Menschen, die als Messias auftraten oder das baldige Kommen des Messias ankündigten – zu Unrecht. Andererseits entwickelt sich im Judentum allerdings eine Vorstellung, dass unter dem Messias vielleicht keine bestimmte Person, sondern eher ein (eschatologischer) Zustand zu verstehen sei.

Der katholische Theologe Magnus Striet hat ein Nachwort verfasst, was den Band auch zu einem Beitrag des jüdisch-christlichen Dialogs macht. Dabei stellt Striet heraus, dass das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Messias ein trennendes Element zwischen Judentum und Christentum darstellt, wenngleich dies den Blick auf das Verbindende nicht verstellen darf. Ob Jesus seinen Tod wirklich nicht wollte – das wird man mit einem kleinen Fragezeichen versehen dürfen, stellt aber eher ein Problem christlicher Theologie dar.

Alles in Allem ist dieser Band sehr gelungen, weil die drei großen Kapitel einen sehr guten, knappen, aber mehr als fundierten Überblick über die Entwicklung jüdischer Messiastheologie geben.  

Walter Homolka / Juni Hoppe / Daniel Krochmalnik: Der Messias kommt nicht. Abschied vom jüdischen Erlöser
Herder 2022, 272 Seiten, EUR 24

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Zwei Märchen von Hoffmann

Von Benedikt Bögle

Zwei Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann wurden im Verlag Herder nacherzählt und in einem sehr gelungen kleinen Band veröffentlich: Das erste Märchen –  „Die Königsbraut“ – entführt den Leser in ein magisches Reich: Ein Gemüsekönig, ein kleiner, hässlicher Gnom, hat sich ein junges Mädchen als Braut ausersehen; er täuscht das Mädchen über seine wahre Identität, tyrannisiert aber in Wahrheit sie und ihren Vater. Während die junge Frau zunächst denkt, eine herrliche Königin zu werden, nähert sie sich schon äußerlich immer mehr dem kleinen Gnom an, verliert immer mehr an Schönheit. Der Vater, der als eine Art Magier oder Zauberer erscheint, nimmt schließlich den Kampf mit dem Gemüsegnom auf und wirft letztlich ihn und seine Gemüsesoldaten aus seinem Haus.

Das zweite Märchen – „Das fremde Kind“ – hat ähnliche Züge: Zwei Geschwister spielen gerne im Wald und treffen dort auf ein „fremdes Kind“, ein feenartiges Wesen, das vor Licht glänzt. Eines Tages wird ihnen ein sehr unsympathischer Hauslehrer geschickt – der sich just am Ende ebenfalls als Gnom herausstellt, der sich lediglich verkleidet hat. Das fremde Kind wird zu einem lebenslangen Begleiter der beiden Geschwister. Auch hier siegt letztlich das Licht über die dunklen Gestalten.

Die beiden Märchen wurden von Sophie Reyer nacherzählt. Begleitet sind die Erzählungen von sehr schönen, dezenten Zeichnungen von Poul Dohle. Nora Gomringer hat das Vorwort zu dem kleinen Band besorgt. Über die Märchen schreibt sie: „Es gibt an Liebe keinen Mangel und auch nicht an Exzentrik“ – wie wahr! Ein sehr schöner Band.

E.T.A. Hoffmann: Die Königsbraut / Das fremde Kind. Erzählt von Sophie Reyer, illustriert von Poul Dohle
Herder 2022, 109 Seiten, EUR 16

Copyright des Bildes: Herder

Diogenes: Die Bibel

Von Benedikt Bögle

Wer Auszüge aus der Heiligen Schrift als „Florilegium“ veröffentlicht, begibt sich immer in eine Gefahr: Die Bücher der Bibel sind über Jahrhunderte entstanden; ebenfalls über Jahrhunderte bildete sich ein fester Kanon heraus, der festlegt, welche Bücher in welcher Reihenfolge zur Bibel gehören sollen. Die Bibel bildet so eine Einheit; sie ist nicht nur eine Bibliothek verschiedener Bücher, aus denen man sich bedienen kann. Gleichzeitig kann man natürlich Verständnis aufbringen für das Projekt, einzelne Texte der Heiligen Schrift herauszunehmen und zu veröffentlichen – etwa besonders wichtige, wirkmächtige oder auch schöne Texte. Diese Projekte sind mal mehr, mal weniger gelungen. Ein leider besonders schlechtes Beispiel für einen Auszug aus der Heiligen Schrift bietet ein bei Diogenes erschienener Band: „Die Bibel. Eine Auswahl der schönsten Geschichten und Dichtungen in der Übertragung von Martin Luther“.

Zusammengestellt wurde diese Auswahl von Daniel Keel. Leider begründen weder ein Vorwort noch ein Nachwort noch eine auch nur knappe editorische Notiz, nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgte. Man kann also nur annehmen, dass es sich einfach um Texte handelt, die Daniel Keel – aus welchem Grunde auch immer – für versammlungswürdig gehalten hat. Dazu gehören die Bücher Genesis und Exodus, die Geschichte von König David, Hiob, von einigen Propheten, schließlich die Dichtungen Salomos, einige Psalmen und das Matthäusevangelium. Sicher, jede Auswahl ist subjektiv und muss das auch sein. Aber passt es wirklich, einfach nur ein Evangelium herauszupicken – und aus dem Neuen Testament die ganze Apostelgeschichte, die komplette Briefliteratur und die Offenbarung des Johannes zu tilgen? Wäre nicht auch aus Levitikus, Numeri und Deuteronomium, aus den frühen Geschichtsbüchern irgendetwas von Bedeutung zu bieten gewesen?

Am weitaus schwersten wiegt aber, dass die Fundstellen der biblischen Bücher einfach nicht angegeben sind. Das erste Kapitel lautet: „Die Geschichte von der Erschaffung der Welt“, gemeint ist das Buch Genesis. Hätte man nicht angeben können, dass der Text dem Buch Genesis entnommen ist? Hätte man nicht wenigstens die Kapitelangaben bieten können? Hätte man dem Leser nicht wenigstens sagen können, ob das Buch Genesis zur Gänze abgedruckt wurde oder in Auszügen? So liegt es mit ausnahmslos allen Texten; nur bei den Psalmen wird die jeweilige Nummer angegeben. Am schwersten wiegt das bei dem Abschnitt zu den Propheten. Dieser ist aus mehreren biblischen Büchern zusammengewürfelt – aus welchen Büchern und welchen Kapiteln bleibt dem Leser aber ein Rätsel.

So geht man mit der Bibel nicht um – ebenso wie man mit anderen Texten der Weltliteratur so nicht umgehen würde. Auch bei einem Florilegium der schönsten Texte Homers oder Goethes oder der antiken Dichtung oder des Sturm und Drang dürfte man als Leser erwarten, dass angegeben wird, woher die Texte stammen. Der Band hat das Ansinnen, die Bibel auch als ein Stück Weltliteratur zu zeigen; das ist ja auch lobenswert. Dann aber hätte man die Bibel auch als Literatur mit Fundstellen, Kontext und wenigstens einer editorischen Notiz behandeln müssen.  

Die Bibel. Eine Auswahl der schönsten Geschichten und Dichtungen in der Übertragung von Martin Luther
Diogenes 2022, 568 Seiten, EUR 14
Copyright des Bildes: Diogenes

Literarischer Kommentar zum Grundgesetz

Von Benedikt Bögle

Kommentare sind für Juristen ein unverzichtbares Arbeitsmittel. Sie erklären Gesetze – Paragraph für Paragraph. Sie definieren Begriffe, fassen die Rechtsprechung zusammen, bieten eine Anleitung für die tägliche Arbeit. Literarisch hochwertig sind diese Ausführungen meistens nicht, eher funktional und knapp. Umso spannender erscheint ein bei C.H. Beck erschienenes Projekt: Georg M. Oswald hat dort einen „literarischen Kommentar“ zum Grundgesetz herausgegeben. Das Ansinnen ist interessant: Das Grundgesetz ist ja der Boden unserer Rechtsordnung, auf dem sich nicht nur das Leben der Juristen entfaltet, sondern eben auch das gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle, politische und religiöse Wertegefüge unseres Landes.

Schon im Vorwort stellt Oswald heraus: Der Begriff des „literarischen“ Kommentars ist weit gefasst. Gemeint ist nicht nur das Stilmittel des Dichterischen; vielmehr sammelt der Band Essays zum Grundgesetz. Das geschieht in der Form eines Kommentares: Nach der jeweiligen Vorschrift der Verfassung folgt der jeweilige Essay. Dabei wurde das Grundgesetz nicht in Gänze kommentiert – und das ist verständlich. Die Gesetzgebungskompetenzen im Einzelnen oder auch die Haushaltsvorschriften dürften als eher trocken gelten und sind nicht geeignet, in ihrer Breite literarischen Kommentaren zugeführt zu werden. Natürlich drängen sich die Essays dabei vor allem um die Grundrechte.

Die Gruppe der Autoren besteht dann aber doch zu einem großen Teil aus Juristen – wenngleich nicht ausschließlich. Einzelne Essays stechen dabei als besonders gelungen hervor; so etwa Herta Müllers biographische Skizze zum Leben in der Diktatur, die als Kommentar zur in Art. 1 des Grundgesetzes festgeschriebenen Menschenwürde dient. Die Herangehensweise ist im Übrigen sehr unterschiedlich. Die Gleichstellung von Mann und Frau etwa kommentiert Patrick Bahners mit einem Blick auf das Verfahren zur entsprechenden Verfassungsänderung, die Rolle des Bundespräsidenten reflektiert Hans Pleschinski mit Anmerkungen zu den bisherigen Bundespräsidenten.

Einige der Texte können voll überzeugen – andere scheinen ein wenig in der Luft zu hängen. Viele der Autoren nähern sich mit dem Stilmittel des Essays der Materie, scheinen aber für eine wirklich sorgfältige Ausdifferenzierung ihrer Gedankengänge zu wenig Platz gehabt zu haben. Auch ist der Kommentar in der Gesamtschau kein „literarischer“, wie schon das Vorwort koinzidiert. Es handelt sich tatsächlich eher um eine Essaysammlung. Das Projekt ist spannend, einzelne Texte sehr gut, andere fallen dagegen etwas ab. Alles in allem handelt es sich aber um einen interessanten Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte, der auch dazu dienen mag, das Grundgesetz als das zu sehen, was es ist: Kein Besitztum der Juristen, sondern Grundlage des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates.

Georg M. Oswald (Hg.): Das Grundgesetz. Ein literarischer Kommentar
C.H. Beck 2022, 381 Seiten, EUR 26
Copyright des Bildes: C.H. Beck

„Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“

Von Benedikt Bögle

„Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Gerichts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen.“ Diese Vorschrift – § 245 ZPO – dürfte zu den eher unbekannten Normen des Zivilprozesses gehören. Für Benjamin Lahusen, Professor für Bürgerliches Recht in Frankfurt, wurde sie zum Ausgangspunkt seiner Habilitationsschrift. Auf den ersten Blick ist es selbstverständlich: Wenn das Gericht aufgrund eines Krieges nicht mehr arbeiten kann, dann werden die Verfahren unterbrochen. Was soll auch sonst geschehen mit den anhängigen Prozessen, wenn es kein Gericht mehr gibt, das Urteile spreche könnte? Für Lahusen steht noch mehr dahinter: Selbst der Zustand der Rechtlosigkeit ist noch juristisch definiert. „Justitium“ nennt sich dieser seltsame Zustand zwischen Recht und Rechtlosigkeit. Lahusens bei C.H. Beck erschienen Monographie „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“ beschäftigt sich mit der deutschen Justiz zwischen 1943 und 1948 – in einer Zeit also, in der man annehmen könnte, der Zustand der Rechtspflege hätte das „Justitium“ erreicht, die Tätigkeit der Gerichte hätte geendet. Dem war aber nicht zwingend so, stellt Lahusen heraus.

„Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“ ist eine außergewöhnliche Schrift. Das liegt am Fokus, den der Autor wählt. Er schreibt über die NS-Justiz nicht mit einem Schwerpunkt auf das Außergewöhnliche. Lahusen referiert nicht über die nationalsozialistische Gesetzgebung, nicht über Freislers Schau-Prozesse, nicht über die augenfällige Rechtlosigkeit in der Diktatur. Im Gegenteil: Es geht gerade um das Gewöhnliche. „Deshalb wurde die Blickrichtung in diesem Buch verschoben. Im Mittelpunkt steht nicht das, was uns vom Nationalsozialismus trennt, sondern das, was wir mit ihm teilen: das Normale“, schreibt Lahusen. Es geht um: „Mietrecht, Eherecht, Beleidigungen, leichte Körperverletzungen, Fälle also, die bei Gericht mit einer routinierten Sachlichkeit rechnen dürfen.“

Lahusen beschreibt einerseits eine Justiz, die unter den Bedingungen des Krieges zu arbeiten versuchte. Es wirkt gerade lächerlich, wenn zahlreiche Gerichte zwar ausgebombt wurden, beinahe alle Akten vernichtet waren, die Direktoren und Präsidenten der Gerichte aber dennoch vermeldeten, der Dienstbetrieb laufe geradezu ungestört weiter. Zahlreiche Gerichte flohen gar vor der nach Deutschland vordringenden Frontlinie, gaben sich aber dennoch den Anschein fortlaufender Funktionalität: In Zeiten des Krieges wollte man sich in Deutschland den Niedergang nicht eingestehen – auch nicht in der Rechtspflege. Benjamin Lausen beschreibt etwa eingehend, was das entscheidende juristische Problem in Auschwitz war: Die Grundbücher in Ordnung zu bringen.

Was Benjamin Lahusen so gelingt, ist eine erstaunliche Geschichte der NS-Justiz, in der er sich gerade nicht auf die ganz offensichtlichen Rechtsbrüche konzentriert, sondern auf die – scheinbare – Normalität. Er legt somit offen, wie das Recht auch dazu dienen konnte, der Terrorherrschaft den Anschein der Normalität zu geben. Während in Auschwitz tausende Menschen ermordet wurden, mussten doch die Grundbücher ordentlich geführt sein. Den Juristen wird sein Band so zur Mahnung: Wie schnell kann das Recht dazu dienen, nicht Gerechtigkeit zu verwirklichen, sondern Unrecht zu manifestieren. In einem ganz eigenen, beinahe schon literarischen Stil referiert der Autor eine umfassende Auswertung von Archiven – und schafft es dennoch, den Leser nicht zu ermüden, sondern mit Spannung zu unterhalten. „Der Dienstbetrieb ist ungestört“ ist ein wichtiger Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, der jedem Juristen, ebenso aber allen historisch Interessierten nur ans Herz gelegt werden kann.

Benjamin Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“. Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948
C.H. Beck 2022, 384 Seiten, EUR 34

Copyright des Bildes: C. H. Beck