Von Benedikt Bögle

Die Frage nach dem rechten Verhältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik ist aktuell. Der Staat fragt sich dieser Tage nicht nur, wie mit dem Islam staatskirchenrechtlich umzugehen ist, sondern auch, welchen Weg die an die Kirche erbrachten Staatsleistungen in der Zukunft gehen sollen. Dem Verhältnis von Kirche und Staat geht Heinz Schilling in einem bei Herder erschienenen Band historisch nach: „Das Christentum und die Entstehung des modernen Europa. Aufbruch in die Welt von heute“. Schilling zeigt zunächst anhand der ausgehenden Antike, wie Christentum und Staat einander beeinflussten und stellt fest: „Das Christentum war von Anfang an auf Weltlichkeit, also auf Wirken in und auf die Welt angelegt.“ Das Miteinander kirchlicher und staatlicher Strukturen prägt die europäische Welt über Jahrhunderte. Gleichzeitig liegt Schillings Augenmerk hauptsächlich auf der Entstehung der Moderne; den Schwerpunkt seines Werkes bildet die Untersuchung der Zeit ab der Reformation, begleitet von konfessioneller Auseinandersetzung.
Heinz Schilling macht deutlich: Indem die konfessionelle Einheit Westeuropas im Zuge der Reformation zerbricht, hat das auch Auswirkungen auf den einheitlichen Staat. Differenzierungen erfolgen nicht nur auf dem Gebiet der Religion, sondern eben auch der Politik wie der Künste. Dabei geht der Autor gerade der Reformation auf den Grund; seine Ausführungen entziehen sich jeder Oberflächlichkeit, die in Luther nur den modernen Reformator sehen will, und betont gerade auch dessen Verwurzelung in seiner Welt und Zeit. Zugespitzt formuliert Schilling gar, allgemeingeschichtlich könne man die Konfessionalisierung positiv bewerten: „als einen gewaltigen Differenzierungsschub“.
Heinz Schilling zeigt, welche Auswirkungen das Christentum auf die Entstehung des modernen Staates hatte. Er schildert, was die jeweiligen Konfessionen zur Entwicklung von Städten, Staaten und Kultur beigetragen haben und auf welches christliche Erbe das westliche Europa daher zurückblicken kann. Entstanden ist so ein sehr schöner Band, der in vielem auf bereits Veröffentlichtes zurückgreift, gleichzeitig aber – wie der Autor selbst betont – eben keinen „Sammelband“ darstellt, sondern ein in sich stimmiges Ganzes mit einem erkennbaren roten Faden. Dabei drückt sich der Autor durchgängig gut verständlich aus – ein sehr interessanter Band.
Heinz Schilling: Das Christentum und die Entstehung des modernen Europa. Aufbruch in die Welt von heute
Herder 2022, 472 Seiten, EUR 28