Von Benedikt Bögle

Eine alte Bekannte sucht Commissario Brunetti auf: In seiner Kindheit hatte er im selben Haus wie Elisabetta gewohnt und das ältere Mädchen bewundert. Jetzt besucht sie ihn, weil sie sich Sorgen macht: Ihr Schwiegersohn scheint berufliche Probleme zu haben. Es wirkt, als würde es die Ehe ihrer Tochter belasten und Elisabetta bittet Brunetti um Hilfe. Er soll doch ein wenig ermitteln; vielleicht stößt er auf das Problem, vielleicht kann er die Sorgen aber auch zerstreuen. Brunetti willigt ein; weniger, weil ihn der Fall interessiert oder er Elisabetta einen Gefallen schuldet. Vielmehr geht es um Elisabettas Mutter, die seinerzeit zu Brunettis Mutter ausgebrochen nett war. Also beginnt der Commissario zu ermitteln, flankiert wie immer von Signora Elettra, Vianello und der Kollegin Griffoni. Die Ermittlungen verlaufen schleppend, bis Brunetti auf eine Stiftung stößt. Gegründet wurde sie – just – von Elisabeths Ehemann. Der verdächtige Schwiegersohn war als Steuerberater beratend tätig. Als dann die Tierarztpraxis von Elisabettas Tochter zerstört wird, nimmt der Fall endgültig an Fahrt auf.
Donna Leons „Milde Gaben“ kann nicht überzeugen. In der ersten Hälfte dümpelt der Roman nur so vor sich hin. Der Inhalt: Vorhersehbar. Brunetti schuldet irgendjemandem aus irgendwelchen Gründen irgendetwas. Zur Aufklärung des Falles bedienen er uns seine Gehilfen sich wiederum irgendwelcher Leute, die ihnen irgendetwas schulden. Bald wird deutlich, dass es um die – mittlerweile ebenfalls unvermeidlichen – Steuerstraftaten geht. Dabei hätte der Roman viel mehr Potenzial! Leon schneidet gewichtige Themen hat. Sie schreibt über Eifersucht und Demenz. Am Ende dieses Buches wirkt es so, als hätte die Autorin den falschen Schwerpunkt gesetzt. Wunderbare Charakterstudien wären hier zwar angelegt, werden am Ende aber nur noch schnell und kurz angeschnitten, statt den wirklichen Schwerpunkt des Buches zu bilden. Würde der Krimi am Anfang schneller an Fahrt aufnehmen, hätte das Ende ausgebaut werden können – und das hätte dem Buch der im Übrigen grandiosen Erzählerin wirklich gutgetan.
Donna Leon: Milde Gaben
Diogenes 2022, 344 Seiten, EUR 25
Ein Kommentar zu „Milde Gaben“