Von Benedikt Bögle

Die Bibel ist ein Buch, das alle menschlichen Grunderfahrungen widerspiegelt: Freude und Hoffnung, Trauer, Angst, Verzweiflung, Erlösung und Schuldgefühle. Und natürlich: Auch Flucht spielt in der Heiligen Schrift eine große Rolle. Man würde schnell an den Auszug Israels aus Ägypten denken oder an die Heilige Familie, die vor dem König Herodes fliehen muss. Doch die Heilige Schrift hat noch viel mehr zur Flucht zu sagen. Das zeigt sehr eindrücklich Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem bei C.H. Beck erschienenen Band: „Das Buch der Flucht. Die Bibel in 40 Stationen“. 40 Begebenheiten sind es, in denen Claussen die Bibel über Fluchterfahrungen sprechen lässt – und das geht weit über das hinaus, was einem zunächst in den Sinn kommen würde.
Da geht es um eine erste Flucht des Menschen aus dem Paradies, um die Frühgeschichte Israels mit den beiden jüdischen Staaten, um die Verschleppung nach Babylon und die Rückkehr nach Hause. Es geht um Rut, die ihr Land verlassen muss, und um die Sintflut. Auch im Neuen Testament lassen sich Begebenheiten von Flucht und Vertreibung finden. Der Autor hat seine 40 Kapitel, die „Stationen“, unterschiedlich gestaltet: Mal erzählt er eine biblische Erzählung nach, mal legt er mehr Wert auf historisch-kritische oder archäologische Erkenntnisse. Die Kapitel sind durchwegs sehr kurz, lassen sich auch einzeln und außerhalb der Reihe lesen. Sie alle schärfen den Blick auf das Problem der Flucht. Die Bibel sei, wie Claussen im Vorwort schreibt, „ein Buch von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Heimatverlust und Heimatsuche sind seine Kernthemen. Durch Vertreibung und Flucht verloren die Israeliten ihre alten Gottesbilder und fanden im Exil andere Vorstellungen der Gottesbeziehung und des menschlichen Zusammenlebens.“ Dieses Grundanliegen entfaltet Claussen dann in seinem Band – auf sehr lesenswerte Weise.
Johann Hinrich Claussen: Das Buch der Flucht. Die Bibel in 40 Stationen
C.H. Beck 2018, 332 Seiten, EUR 24,95