Von Benedikt Bögle

Die Geschichte des Verhältnisses von Juden und Christen ist eine Geschichte der Ausgrenzung und der Verfolgung. Über Jahrhunderte hinweg wurden Juden von Christen diskriminiert – in der Theologe, im Alltag. Diese Diskriminierung forderte das Leben unzähliger Juden, über alle Jahrhunderte hinweg, gipfelnd in der schrecklichen Shoah. Seither bemüht sich die christliche Theologie um einen neuen Dialog mit dem Judentum, gedenkend der eigenen Schuld, den eigenen Versäumnissen. Dieser Dialog ist fruchtbar, an vielen Orten blüht jetzt jüdisch-christliches Gespräch, das den Blick auf das Gemeinsame richten will, ohne Unterschiede zu verwischen. Einen Beitrag zu diesem Dialog hat vielfach auch Walter Kardinal Kasper geleistet, von 2001 bis 2010 war er Präsident des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der religiösen Beziehungen zum Judentum. Bei Herder ist von ihm nun erschienen: „Juden und Christen – das eine Volk Gottes“.
Der Band enthält mehrere Aufsätze und Ansprachen. Schonungslos legt der Kardinal seine Finger in die Wunden der christlichen Theologie. Er zeigt, wie theologisch eine Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden begründet wurde, die auch im Alltag nicht folgenlos blieb. Er zeigt die verheerenden Folgen der „Substitutionstheorie“, die schlichtweg behauptete, die Kirche habe das Volk Israel ersetzt. Eine derartige Theologie musste natürlich eine ganze Vielzahl von Bibelstellen ignorieren, geflissentlich überlesen, selektiv vorgehen. Ein neuer Blick auf das Volks Israel – das von Gott auserwählte, berufene und geliebte Volk – war dann erst vor und auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil möglich. Gerade der Text „Nostra Aetate“ kann wohl zurecht als Revolution im jüdisch-christlichen Dialog gelten. All das reflektier Walter Kardinal Kasper und zeigt zugleich die theologischen Probleme aus christlicher Sicht auf: Christen sind zur Mission gerufen. Gleichzeitig steht die Kirche zu ihrem Nein zur Judenmission. Wie kann man diese beiden Pole zusammendenken? Wie ist das vereinbar mit dem Axiom, außerhalb der Kirche gäbe es kein Heil?
Walter Kardinal Kasper bietet hier theologische Lösungsansätze. Diese hätten gerne vertieft werden können. Da es sich hier um einen Sammelband handelt, werden gewisse Themen mehrfach behandelt, andere zwar mehrfach angeschnitten, wenngleich man sich hier aber ein wenig mehr Tiefe gewünscht hätte. Und dennoch ist dieser Band ein schönes Zeugnis dafür, wie jüdisch-christlicher Dialog funktionieren kann. Er zeigt auch der Kirche auf, dass sie niemals vergessen darf, was in ihrem und ihrer Theologie Namen geschehen konnte – und dass sie in Zukunft immer mehr an der Beziehung zu unseren jüdischen Geschwistern zu arbeiten hat.
Walter Kardinal Kasper: Juden und Christen – das eine Volk Gottes
Herder 2020, 160 Seiten, EUR 22