Von Benedikt Bögle
Als 2010 Missbrauchsfälle in großen Ausmaß innerhalb der katholischen Kirche ans Licht kamen, war das für viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche ein Schock. Wo Priestern die Sorge um Kinder und Jugendliche aufgetragen waren, haben sie ihre Aufgabe ins glatte Gegenteil verkehrt und schlimmste Verbrechen begangen. Noch zehn Jahre nach Beginn der „Missbrauchskrise“ ist die Bewältigung nicht zu Ende. Immer noch muss sich die Kirche fragen, wie Missbrauchsfälle so lange vertuscht werden konnten und welche Schuld dabei die Kirche als ganze trifft.

Einen Beitrag theologischer Art zu dieser Fragestellung leistet nun ein Sammelband: „Nicht ausweichen. Theologie angesichts der Missbrauchskrise“ wurde von Matthias Remenyi und Thomas Schärtl herausgegeben und ist bei Pustet in Regensburg erschienen. Vier Perspektiven vereint der Band und nähert sich dem Thema über den Blickpunkt der Betroffenen, über gesellschaftliche, medizinische und psychologische Perspektiven, über ethische, rechtliche und institutionelle Gedanken und schließlich über systematisch-theologische Beiträge. Einen solchen Band mit der Perspektive der Betroffenen selbst zu eröffnen erscheint selbstverständlich, verdient aber doch Lob – ihre Stimme muss zuallererst gehört werden.
Und so führen diese Beiträge in die Thematik ein; die Betroffenen schildern, was an ihnen getan wurde und wie sehr sie das bis heute noch belastet. Sie zeigen, dass Missbrauch kein punktuelles Geschehen ist und Biographien auf lange Zeit prägt. Auch die anschließenden Entfaltungen des Themas bringen vielfach Klarheit. Ganz besonders hervorzuheben ist ein Beitrag des Jesuiten Godehard Brüntrup, der nach Zusammenhängen zwischen Zölibat und Missbraucht fragt. Seine Antwort: Differenziert und doch klar. Eine einfache kausale Verbindung gibt es eben nicht. Vielmehr muss die Kirche sich fragen, wie sie möglichst gut zölibatär lebende Priester unterstützen kann. Alles in allem ein hervorragender Sammelband.
Matthias Remenyi und Thomas Schärtl (Hg.): Nicht ausweichen. Theologie angesichts der Missbrauchskrise
Pustet 2019, 276 Seiten, EUR 24,95