Von Benedikt Bögle

Jack Argyle hat seine eigene Adoptivmutter erstochen. Er brauchte Geld – und sie wollte es ihrem unzuverlässigen Sohn nicht geben, der immer mit einem Bein im Gefängnis stand. Jack hat seine Mutter erstochen, Geld geraubt und das Weite gesucht. Bald aber kann die Polizei ihn schnappen. Jack beharrt aber auf seiner Unschuld. Er habe auch ein Alibi: Als seine Mutter erstochen wurde, befand er sich im Wagen eines fremden Mannes, der ihn dankenswerter Weise ein Stück des Weges mitgenommen hatte. Nur: Der Mann findet sich nicht. Da Alibi platzt, Jack Argyle wird verurteilt und stirbt nach wenigen Monaten in der Haft. Zwei jähre später taucht ein Mann auf, der der unbekannte Fahrer sein will. Er befand sich im Ausland, hatte vom Mord und dem Prozess nichts mitbekommen und konnte so Jack Argyle nicht vor seiner Verurteilung bewahren. Nun will er sein Gewissen reinwaschen. Er besucht Jacks Familie und überbringt ihr die – wie er meint – gute Nachricht. Immerhin ist der Sohn und Bruder nun also doch unschuldig.
Nur: Die Familie kann sich so gar nicht über diese Nachricht freuen. Erst langsam versteht der aufgetauchte Zeuge, warum: Wenn Jack es nicht war, muss ein anderes Familienmitglied die Mutter erstochen haben. War es ihr Ehemann, der heimlich in seine Sekretärin verliebt war? War es eines der anderen Adoptivkinder, die immer ein schwieriges Verhältnis zur Mutter hatten? Wer könnte ein Motiv haben, stark genug für einen Mord? Die Ermittlungen werden wieder aufgenommen – bis der wahre Mörder gefunden wird. „Tödlicher Irrtum“ ist ein klassischer Agatha-Christie-Krimi: Nicht durch die Blutrünstigkeit des Mordes entsteht die Spannung, sondern durch pure Kombination. Wie so oft konstruiert Agatha Christie einen Plot, in dem der Kreis der möglichen Mörder nicht sonderlich groß ist. Wer aus der Familie hat es getan? Eine Frage, die nicht wenigen Romanen der großen Krimi-Autorin zugrunde liegt. Auch heute noch überzeugen ihre Krimis und die Lösung ihrer Fälle durch reine geistige Anspannung; nicht DNA-Tests und Fingerabdrücke überführen den Mörder, sondern schlüssige Argumentationsketten. Agatha Christie lässt sich wunderbar lesen – auch dann, wenn nicht Hercule Poirot oder Miss Marple ermitteln.
Agatha Christie: Tödlicher Irrtum
Atlantik Verlag 2019, 253 Seiten, EUR 12