Neues aus dem alten Rom

Von Benedikt Bögle

Das Latinische gilt uns gemeinhin als die große klassische Sprache; die Sprache, in der Cicero und Seneca dachten und schrieben, die Sprache der komplizierten Syntax, der feingliedrigen Deklinationen und Konjugationen – schlicht: Das Lateinische ist erhaben, es zu beherrschen das große Bildungsideal der europäischen Geistesgeschichte. Nur: Natürlich sprachen die Römer nicht nur Latein, wenn sie zu philosophischen Höhen oder dichterischer Ekstase aufsteigen wollten. Sie sprachen Latein in ihrem Alltag, von morgens bis abends, vom Kaiser bis zum Bettler.

Deswegen gibt es – es verwundert ja eigentlich nicht – auch viele Graffiti aus der antiken römischen Welt. Kurze Botschaften, auf Wände gekritzelt, bis heute erhalten. Professor Karl-Wilhelm Weeber, ehemaliger Lateinlehrer, hat nun eine Auswahl lateinischer Graffiti ausgewählt: „Botschaften aus dem alten Rom. Die besten Graffiti der Antike“ ist bei Herder erschienen. Die meisten der hier wiedergegebenen Graffiti stammen aus Pompeji, wo sie durch den Ausbruch des Vesuvs am besten erhalten werden konnten.

Copright: Herder

Literarisch hochwertig ist das nicht. „Andererseits bieten auch die Graffiti einen Zugang zur römischen Welt, der nicht vernachlässigt werden darf, den Zugang nämlich zur Alltagswelt, zur Freude und zum Leid auch der kleinen Leute, die sich fernab von hoher Politik und Kunst durchs Leben schlagen müssen. Diese Welt spiegeln die Wandbotschaften frisch, frech und lebendig wider; viel authentischer, farbiger und unmittelbarer als die Darstellungen antiker Geschichtsschreiber und die Reflexionen römischer Philosophen“, wie Weeber in seiner Einleitung schreibt.

In mehreren kleinen Kapiteln bietet der Autor eine Auswahl an Graffiti: Da geht es um Liebe und Sexualität, Besuche in Gasthäusern und Bordellen. Das können ganz kurze Mitteilungen sein: „Canamus – Lasst uns singen!“ Ebenso finden sich aber auch längere Mitteilungen oder gar Wahlwerbung; die scheint in Pompeji ganz besonders beliebt gewesen zu sein. Mehr oder weniger ausführlich werben Bürger für den von ihnen bevorzugten Kandidaten. Die Auswahl ist interessant, das Buch sehr unterhaltsam – es zeigt: Latein ist eben nicht nur die Hochsprache der Gebildeten gewesen. Für eine angeblich so „tote“ Sprache sehr lebendig.

Karl-Wilhelm Weeber: Botschaften aus dem alten Rom. Die besten Graffiti der Antike
Herder 2019, 192 Seiten, EUR 10

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