Von Benedikt Bögle
Es war da einer von den Pharisäern namens Nikodemus, ein führender Mann unter den Juden. Der suchte Jesus bei Nacht auf und sagte zu ihm: Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“ So berichtet der Evangelist Johannes (3,1-2) von einem nächtlichen Gespräch zwischen Jesus und dem Mann Nikodemus. Ein Gespräch, in dem der interessierte Mann erfahren will, wer dieser Jesus ist und welche Botschaft er verkündet. Diese Frage hat seit dem nächtlichen Nikodemus-Gespräch immer wieder Menschen beschäftigt, 2000 Jahre lang. Wer war dieser Jesus von Nazareth und was war die Botschaft, die zu verkünden er gesandt ist?
Diese Frage beschäftigt natürlich auch Gerhard Lohfink, der bis 1986 Professor für das Neue Testament in Tübingen war. Er hat nun ein eigenes nächtliches Gespräch veröffentlicht: „Das Geheimnis des Galiläers. Ein Nachtgespräch über Jesus von Nazareth“ ist beim Herder-Verlag erschienen. Das Buch ist ein fiktiver Dialog zwischen dem emeritierten Theologieprofessor und einem seiner interessierten Leser, einem Mann, der im Briefkontakt mit Lohfink stand und nun endlich mehr über diesen Jesus von Nazareth erfahren möchte.
Die Frage nach dem historischen Jesus eröffnet den Reigen der behandelten Fragen. Kann man den biblischen Quellen über Jesus trauen? Mehr noch: Kann man den überlieferten Jesusworten trauen oder handelt es sich nicht samt und sonders um spätere Erfindungen der Evangelisten? Lohfink zeigt hier, dass im Verlauf der historischen Forschung immer wieder Jesusworte schlicht deswegen nicht für wahr gehalten wurden, weil sie in das eigene, vorgefertigte Bild vom Nazarener so gar nicht passen wollten. Dabei macht der Theologe auch klar: Natürlich stammen nicht alle Worte von Jesus. Aber selbst die nachträglich geänderten oder komponierten haben einen Wert für den Glauben der Christen heute: „Auch ein fiktives Jesuswort, das in dieser Form nicht von ihm stammt, kann exakt ausdrücken, was Jesus wollte und wofür er eintrat.“
Es folgen Betrachtungen der Gleichnisse, die eine große Freude des Autors an der Bildsprache, an der Kürze, an der Genialität dieser einfachen Botschaften atmen, die Christus über das Gottesreich verkündete. Vor allem aber geht es auch um die Spannungsbögen in der Verkündigung Jesu: Die Spannung zwischen Heil und Gericht, die Spannung auch im Gottesreich selbst, das umverfügbar wächst und gedeiht, gleichwohl aber das Zutun des Menschen fordert.

Gerhard Lohfink hat hier ein sehr tiefes, persönliches, gebildetes Buch vorgelegt. Durchgehend ist es in der Dialogform geschrieben, die teilweise leider mehr als holprig erscheint. Ständig wird der Fluss des Gesprächs durch Lappalien unterbrochen: Telefonate des Gesprächspartners mit seiner Frau, die Frage, ob der Gast denn noch Schinkenbrote und Prosecco möchte oder wann der morgendliche Zug abfährt. Trotzdem gewinnt das Buch durch die dialogische Struktur und entwickelt sich so wirklich zu einem Gespräch über die Botschaft des Galiläers.
Gerhard Lohfink: Das Geheimnis des Galiläers. Ein Nachtgespräch über Jesus von Nazaret
Herder 2019, 278 Seiten, Eur 28