Dialog mit einer jüdischen Familie

Von Benedikt Bögle

Ab 1987 arbeitet die Studentin Margot Vanderstraeten neben ihrem Studium als Nachhilfelehrerin einer jüdischen Familie im belgischen Antwerpen. Der Start ist mehr als holprig: Vanderstraeten lebt mit einem iranischen Muslim zusammen – der modern-orthodoxen Familie, im Buch die „Schneiders“ genannt, gefällt das nicht gerade. Zunächst wird die Studentin abgelehnt, andere Bewerbungen werden ihr vorgezogen. Mit diesen Nachhilfelehrern kommt die Familie aber nicht zurecht – und so kommt Vanderstraeten doch noch zum Zug. Ihre Erlebnisse hat sie unter dem Pseudonym J.S. Margot in „Masel Tov“, erscheinen bei Piper, zusammengetragen.

Copyright: Piper

Da prallen zunächst Welten aufeinander: Auf der einen Seite steht die fromme jüdische Familie, die ihren ganzen Alltag auf Gott ausrichtet, auf der anderen Seite die atheistische Nachhilfelehrerin. Die Schneiders führen ein Leben innerhalb der jüdischen Gemeinde, die Kinder besuchen eine jüdische Schule. Vanderstraeten findet das zunächst seltsam, kann diese Abschottung nicht verstehen. Ebenso wenig kann sie nachvollziehen, dass die Familie französisch spricht, nicht niederländisch. Bis der Vater ihr den Grund darlegt: Seit dem Zweiten Weltkrieg würden viele Juden in der ständigen Angst vor neuerlicher Verfolgung leben. Im Notfall wollen sie schnell flüchten können – und haben sich daher für die Weltsprache französisch entschieden, um überall verstanden werden zu können.

Herrlich schildert Vanderstraeten ihre Geschichte mit der jüdischen Familie. Sechs Jahre lang arbeitet sie bei den Schneiders, hält aber auch danach noch – wenn auch locker – Kontakt, besucht die Kinder sogar einmal in Israel. Das Buch ist ein wunderbares Plädoyer für einen gelungenen Austausch mit fremden, zunächst unbekannten Religionen oder Kulturen. Und das, weil Vanderstraeten den sehr schwierigen Prozess nicht verherrlicht. Nein, es ist nicht immer schön und einfach, fremde Wertesysteme kennenzulernen. Nein, es ist nicht immer nur bereichernd, eine neue Kultur kennenzulernen. Die Autorin etwa leidet darunter, dass die Schneiders nur höchst ungern bei ihr zum Essen vorbeikommen würden – schließlich hat sie ja keinen koscheren Haushalt. Das ist schwierig, wirkt ausgrenzend auf sie.

Und doch wächst das gegenseitige Verständnis mit der Zeit. Das Rezept scheint ganz einfach das Gespräch zu sein: Wer mit Anderen offen über seine Religion, seine Geschichte und seine Werte spricht, beginnt zu verstehen. „Masel Tov“ ist ein erstaunliches Buch. Der Leser lernt viel: Über das Judentum, über das Leben, über den Dialog.

J.S. Margit: Masel Tov. Meine ungewöhnliche Freundschaft mit einer jüdisch-orthodoxen Familie
Piper 2019, 333, EUR 15

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