Von Benedikt Bögle
An Papst Franziskus scheiden sich die Geister. Während eine große Menge dem bescheidenen Papst zujubelt, wollen andere in ihm den großen Häretiker auf dem Stuhl Petri sehen; während einige in den Reformen des Heiligen Vaters den Niedergang der Kirche vorgezeichnet sehen, geht anderen der Reformwille des Papstes nicht weit genug. Nur: Betreibt Papst Franziskus überhaupt eine Reform der Kirche? Mit dieser Frage beschäftigt sich der italienische Soziologie-Professor Marco Marzano in seinem Buch „Die unbewegliche Kirche. Franziskus und die verhinderte Revolution“, auf Deutsch bei Herder erschienen.
Der Soziologe fragt zunächst: Hat denn der Papst überhaupt Reformen vorangetrieben? Gradmesser dafür sind für ihn die Fragen nach dem Zölibat, dem Priestertum der Frau, die Struktur der Kurie und die Sexualmoral der katholischen Kirche. Man hätte auch andere Momente nutzen dürfen, nur scheinen diese Aspekte tatsächlich im Empfinden vieler Katholiken wenigstens in Europa vorrangig einer Reform bedürftig. Das Ergebnis verwundert nicht: Gemessen an diesen Faktoren ist Papst Franziskus kein großer Reformer, ein Revolutionär schon gar nicht. Marco Marzano resümiert, der Papst habe „keine Reform durchgeführt und die Erwartungen derer, die auf strukturelle Veränderungen in der Organisation des Katholizismus gehofft hat, nicht erfüllt“.
Weiter fragt der Autor, wie und ob eine Reform der Kirche überhaupt möglich sei. Der Soziologe betrachtet die katholische Kirche unter einem soziologischen Gesichtspunkt als „große Bürokratie“. Diesen Konstrukten sei eigen, Reformen erst dann durchzuführen, wenn es gar nicht mehr anders gehe; nur als letzten Ausweg könne die Kirche also Reformen durchsetzen. Diese große Krise indes habe die Kirche nicht oder zumindest noch nicht erreicht. Die Mitgliederzahlen gehen weltweit nicht zurück, in Europa nur geringfügig. Das reicht, meint der Autor, noch nicht für die großen, umwälzenden Reformen.

Stattdessen habe sich Papst Franziskus auf Ersatzhandlungen verlegt. Er fahre eine Politik der Freundschaft gegenüber „heterodoxen“ Lehren etwa der Pius-Brüder oder Vertretern der Befreiungstheologie. Letztlich schreibt Marzano: „Wenn die Interpretation, die ich auf diesen Seiten vorgelegt habe, sich als korrekt erweisen sollte, dann wird Franziskus sein Pontifikat eher unspektakulär und ohne weitere Überraschungen zum Abschluss bringen.“
Viel Interessantes findet sich auf den Seiten von „Die unbewegliche Kirche“. Der soziologische Blickpunkt ist interessant, die Bewertung der vermeintlichen aktuellen Krise ebenso. In vielem wird dem Autor zuzustimmen sein. Und doch: Hat Papst Franziskus die Kirche nicht schon reformiert? Tragen nicht seine großen Gesten, seine theologischen Ausführungen und seine immer wieder gehörte Mahnung nach einer armen Kirche Früchte? Hat Franziskus nicht neue Gedanken im Zusammenspiel von Rom und den Bischofskonferenzen etabliert? Haben diese ekklesiologischen Aspekte nicht Wirkungen auf die ganze Theologie? Wird nicht auch das als Reform angesehen werden können, wenngleich es sich nicht in ganze Konkrete Normen niedergeschlagen hat?
Marco Marzano: Die unbewegliche Kirche. Franziskus und die verhinderte Revolution
Herder 2019, 240 Seiten, EUR 22