Von Benedikt Bögle
Wer eigentlich war dieser Jesus? Schon Christen werden diese Frage auf unterschiedliche Art beantworten, verschiedene Akzente in den Vordergrund stellen, das ein oder andere stärker oder schwächer betonen. Auch für den jüdisch-christlichen Diskurs stellt sich die Frage nach der Bedeutung Jesu von Nazareth immer wieder. Mit Walter Homolka und Magnus Striet gehen nun zwei Theologen – ein jüdischer, ein katholischer – dieser Frage auf den Grund: „Nach der Schoa haben Christen eine große Aufgabe zu leisten. Siebzig Jahre christlich-jüdisches Gespräch erfordern eine Anpassung theologischer Rede an die gewonnenen Einsichten“, schreiben die beiden Autoren in ihrer Veröffentlichung „Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser“, erschienen beim Herder-Verlag.
Den Beginn macht Walter Homolka, Professor für jüdische Theologie und Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam. Er bietet eine historische Übersicht über die jüdische Beschäftigung mit der Person Jesu und zeigt, dass diese wissenschaftliche Beschäftigung ab dem 19. Jahrhundert vor allem der Versuch war, sich als Juden innerhalb der deutschen Gesellschaft zu behaupten. Dabei war die Hoffnung leitend, Jesus von Nazareth könnte sich als Brücke zwischen Judentum und Christentum erweisen. Diesen Bemühungen war indes kein Erfolg beschieden, schreibt Homolka: „Die Person Jesu jedoch bleibt, trotz ihres Jude-Seins, eher ein Grund für die Kluft zwischen Judentum und Christentum und ist keineswegs zu einer Brücke zwischen beiden Religionen geworden“.
Homolkas Aufforderung an das Christentum ist deutlich: „Ich meine, es ist nun Aufgabe der christlichen Theologen, eine Christologie zu schaffen, die ohne ein zur Karikatur entstelltes Judentum auskommt“. Der Weg, so scheint es nach Homolka, ist ein vertieftes gegenseitiges Verständnis. Der christlich-jüdische Dialog kann nur gelingen, wenn nicht eine der beiden Religionen in die andere schlicht implementiert und bestehende Unterschiede einfach übergangen werden. Das betreffe, so Homolka, nicht nur die Frage nach der Christologie, sondern auch nach dem jeweiligen Menschenbild.

Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie und philosophische Anthropologie in Freiburg, beginnt seinen Aufsatz mit einem historischen Überblick über Antijudaismus und Anitsemitismus in der christlichen Theologie. Als wesentlichen Motor christlicher Haltungen gegen das Judentum macht er vor allem die Soteriologie aus. Er kommt zum Schluss, das Bekenntnis der Juden zu Jesus Christus sei auch in eschatologischer Perspektive nicht notwendig. Inbegriffen ist dabei auch die Frage der Theodizee. Striet schreibt: Gott „darf vor allem keinen Zweck mit dem Leiden auch nur eines Menschen verbinden und damit auch nicht mit dem Leiden Jesu. Ich wage es kaum zu sagen: Wenn überhaupt, dann darf Gott das Leiden in Kauf nehmen. Gott wollte den Tod Jesu nicht, schärfer: Er darf ihn nicht gewollt haben und auch Jesus wird ihn nur bedingt in Kauf genommen haben.“
Wie – fragt der Autor in seinem Epilog – ist die Inkarnation im christlich-jüdischen Dialog zu verstehen? Wäre es denkbar, dass sich Gott in seinem Kommen beim letzten Gericht in unterschiedlicher Weise zeigen wird? Striets Aufsatz zeigt sich als der Versuch, die Lehre, Gottes Bund mit Israel sei ungekündigt, in Bereiche christlicher Theologie zu übersetzen. Er stellt die Frage: Was heißt das denn? Wenn – und wie der Autor zu Recht zeigt, haben wir keinen Grund daran zu zweifel – Gott nach wie vor in unverbrüchlicher Treue zu seinem Bund mit Israel steht, muss sich christliche Theologie ganz bestimmte Fragen stellen. Dieser Glaubenssatz hat unvermeidbar Konsequenzen für Christologie und christlichen Absolutheitsanspruch, ebenso aber auch für Soteriologie und Inkarnationslehre.
Christologie auf dem Prüfstand“ ist ein Plädoyer für den intensiven christlich-jüdischen Dialog. Es zeigt, dass gerade christliche Theologie in der Beschäftigung mit seinen jüdischen Wurzeln auch das eigene Selbstbild kritisch hinterfragen muss.
Walter Homolka / Magnus Striet: Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser
Herder 2019, 144 Seiten, EUR 16