Von Benedikt Bögle
Selbstverfasste Tages- oder Hochgebete, eigens ausgesuchte Lesetexte für den Pfarrgottesdienst, Abwandlungen im liturgischen Ablauf: Keine Einzelfälle. Allerorten werden liturgische Vorgaben missachtet oder sehr weit ausgelegt. Grund genug, dass sich ein Forschungsprojekt an der Universität Würzburg mit „Normen und ihrer gottesdienstlichen Praxis“ beschäftigt. Ein in diesem Rahmen veranstaltetes Forschungskolloqium findet seinen Niederschlag nun in einer von Martin Stuflesser und Tobias Weyler herausgegeben Untersuchung: „Liturgische Normen. Begründungen, Anfragen, Perspektiven“, erschienen bei Pustet als Band 14 in der Reihe „Theologie der Liturgie“.
Die Forschungsbeiträge beleuchten das Thema von allen Seiten. Die Autoren stellen etwa die Notwendigkeit liturgischer Normen und Vorgaben heraus: „Es geht um die Einheit der Kirche, die sich im Feiern gemäß der Normen zeigt“ , schreibt etwa Tobias Weyler. Liturgie ist als Ausdruck des gemeinsamen Glaubens der Kirche damit auch eine dogmatische Frage. Dem Grundsatz „Lex orandi – Lex credendi“ folgend gibt es einen tiefen inneren und wechselseitigen Zusammenhang zwischen Beten und Glauben der Kirche. Liturgische Normen verstehen sich daher auch als Sicherung dieses Konnexes.
Die Autoren fragen, was die Folge der Nichtbeachtung liturgischer Normen ist. Weyler führt aus: Die Struktur christlichen Gebets könnte nicht eingehalten werden, die tätige Teilnahme der Gottesdienstgemeinde ist gefährdet, wenn die Liturgie zu unbekannt wird, andere Akzentsetzungen gerade innerhalb der gottesdienstlichen Rollen kann eine andere Ekklesiologie implementieren. Der Beitrag von Martin Klöckner fragt nach der Entwicklung liturgischer Normen, ausgehend von der Didache und der Traditio Apostolica bis hin zu aktuellen Entwicklungen. Es folgen dogmatische und kirchenrechtliche Beleuchtungen des Themas.

Erhellend sind auch die empirischen Befunde der Forschungsgruppe, ausgehend von qualitativen Untersuchungen. Sie zeigen die Motivation von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Liturgie zu ändern oder sich an die liturgischen Normen zu halten. Während einige meinen, gerade die – theologisch oft schwer verständlichen – Tagesgebete der feiernden Gemeinde anzupassen, wollen andere die Liturgie unangetastet lassen. Eine Gemeinsamkeit aller Befragten: Das Hochgebet und die Einsetzungsworte sollten sich Veränderungen entziehen. Sie sind, so geben die Befragten an, „verbürgend für die Katholizität der Feier“.
Ein Gedanke zieht sich durch die gesamte Publikation: Die „participatio actuosa“, die tätige Teilnahme des Gottesvolkes an der Liturgie. Die Laien sind nicht stille Zuschauer priesterlichen Handelns, sondern konstitutives Element der liturgischen Feier. Dieses Postulat des Zweiten Vatikanischen Konzils kann freilich zu verschiedenen Handlungsoptionen führen: Entweder bleibt die Liturgie unangetastet, um durch die gewohnte Feier die Teilhabe wirklich zu ermöglichen, oder bestimmte Teile werden gerade im Blick auf die feiernde Gemeinde abgeändert.
Der vorliegende Band versammelt erhellende Aufsätze und beschäftigt sich in breit mit dem großen Themenkomplex um Liturgie und ihre Normen. Nicht nur unterschiedliche Disziplinen kommen zu Wort, sondern eben auch verschiedene Ansichten. Als Fazit könnte man jedenfalls die Forderung ziehen, Liturgie nicht nach Beliebigkeit und eigenem Geschmack, sondern allenfalls – wenn überhaupt – nach theologisch wohl reflektierten Prozessen abzuändern.
Martin Stuflesser / Tobias Weyler (Hgg.): Liturgische Normen. Begründungen, Anfragen, Perspektiven
Pustet 2018, 262 Seiten, EUR 34,95