Von Benedikt Bögle
Die Würde des Menschen ist unantastbar“, stellt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ganz lapidar fest. Ein Satz mit großer Geschichte und noch größeren Voraussetzungen. Doch: Was heißt das eigentlich genau? Und was tun, wenn in diesem Land die Würde eines Menschen doch angetastet würde, der Staat in die Menschenwürde oder eines der im Grundgesetz genannten Grundrechte eingreift? Dann hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu entscheiden. Die Richter interpretieren die deutsche Verfassung und verhelfen den Bürgern zu ihrem Recht, sollte es verletzt worden sein.
So einfach war das allerdings von Anfang an nicht. Das Gericht musste seine Rolle erst finden und sah sich gerade in den Anfangsjahren vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Vorgaben des Grundgesetzes erst einmal zu interpretieren. Einen fundierten Einblick in die frühen Jahre bietet nur der Jurist und ehemalige Spiegel-Autor Thomas Darnstädt: „Verschlusssache Karlsruhe. Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts“, erschienen bei Piper.
Der Autor erforschte anhand der Akten des Gerichts die Genese der frühen Entscheidungen. Er geht dem KPD-Verbotsurteil auf die Spur, beleuchtet das Entscheidungen zu Elfes und Lüth, die Spiegel-Affäre und die Auseinandersetzung um das deutsche Abtreibungsrecht. Juristisch fundiert und gleichzeitig für jedermann gut lesbar, stellt er immer wieder die Frage nach dem Wesen und Inhalt der Grundrechte. Er zeigt etwa auf, unter welchem Druck die Richter in Karlsruhe standen, als sie die KPD verbieten sollten. Dass sie denn verboten werden sollte, was jedem klar. Nur: Wie? Entstanden ist ein wenigstens aus Sicht des Autors schwieriges Urteil, in dem die Ratlosigkeit der Richter noch zu spüren ist.

Das Urteil zu Herrn Elfes war ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Gerichts: Er wollte seinen Pass verlängern lassen, die Behörden lehnten ab. Er wandte sich an das Bundesverfassungsgericht, das sich vor zwei Möglichkeiten gestellt sah. Entweder bezog man die Freizügigkeit aus Artikel 11 auf Herrn Elfes – Problem nur: Der garantiert Freizügigkeit nur innerhalb der Bundesrepublik und hätte folglich ausgeweitet werden müssen. Es ging ja um einen Reisepass und die Möglichkeit, gerade ins Ausland reisen zu können. Oder aber man würde das Reisen und den dazu notwendigen Reisepass unter die Handlungsfreiheit aus Artikel 2 fassen, die man dann aber erst einmal wirklich greifen musste. Die Entscheidung der Richter sollte Folgen haben, über die Jahre hinweg mühte sich das Gericht immer wieder, die in diesem Urteil gefallenen Sätze zu interpretieren und zu erklären.
Darnstädt erzählt lebendig, man merkt den Spiegel-Autor in seinen Zeilen. Detailliert berichtet er, ohne zu ermüden. Er führt in die Geschichte eines Gerichts ein, das heute so selbstverständlich ist, seine Rolle innerhalb der Verfassung aber erst finden muss. Die Monographie zeigt, wie der Autor in der Widmung schreibt, „welch Glück es ist, in der Demokratie des Grundgesetzes zu leben“.
Thomas Darnstädt: Verschlusssache Karlsruhe. Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts
Piper 2018, 412 Seiten, EUR 24