Von Benedikt Bögle
Vor nun 100 Jahren gab sich die junge deutsche Demokratie ihre „Weimarer Verfassung“. In der heutigen politische Lage wachsen die Vergleiche mit der letztlich gescheiterten Weimarer Republik. Ein Narrativ begegnet dabei immer wieder: Schuld am Scheitern der Republik war die Weimarer Verfassung. Dieser Vorstellung geht nun Udo Di Fabio in einer neuen Monographie nach: „Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. Eine verfassungshistorische Analyse“, erschienen im Beck-Verlag. Di Fabio ist Professor für öffentliches in Recht an der Universität in Bonn, von 1999 bis 2011 war er Richter am Bundesverfassungsgericht.
Entstanden ist aus seiner Spurensuche dabei kein verfassungsrechtliches Lehrbuch – vielmehr findet die breite Weimarer Geschichte Platz in Di Fabios Monographie. Die vorgelegte Analyse ist nicht nur „verfassungshistorisch“, sondern überhaupt historisch. Zentral ist die Frage: Warum scheitere die Weimarer Republik? Und „musste“ sie zwangsläufig schon wegen ihrer Verfassung scheitern? Nein, sagt Di Fabio. Die Weimarer Verfassung mag Webfehler gehabt haben. So waren etwa sowohl Reichspräsident als auch Reichskanzler prägende Figuren der politischen Richtlinien – im Gegensatz zum Grundgesetz, das dem Bundespräsidenten keine die Politik prägende Rolle mehr zuweist.
Problematisch waren in Weimar vielmehr auch gesellschaftliche Entwicklungen. Das immer wiederholte Mantra, eine fehlende 5-Prozent-Hürde habe ein arbeitsunfähiges Parlament verursacht, stößt auf den kundigen Widerspruch Di Fabios: „Sperrklauseln bei der Parlamentswahl sind sinnvoll, sie gewährleisten Funktionsfähigkeit. Aber für den Untergang der Weimarer Verfassungsordnung spielte das Fehlen der Fünf-Prozent-Sperrklausel keine ernstzunehmende Rolle.“

Ein großes Problem der Weimarer Republik lag schlicht auch in der mangelnden Akzeptanz einer demokratischen Grundordnung bei Bürgern und einigen Parteien: „Es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass eine demokratische Verfassung dann machtlos wird, wenn intellektuelle und massenmediale Prägekräfte, wenn wichtige Teile der Elite und schließlich die Mehrheit der Wähler eine andere Ordnung wollen“ – und auch dafür kämpfen. Besonders problematisch sei nach Di Fabios Einordnung die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten gewesen. Die demokratischen Kräfte hätten seine Gefährlichkeit durchaus erkennen und verhindern können, hätten sie sich bloß gegen ihn zusammengeschlossen.
Di Fabios Analyse zeigt klar: Eine ganz einfache Antwort auf das Scheitern der Weimarer Republik kann es nicht geben. Gewisse „Webfehler“ der Verfassung spielen eine Rolle, konnten aber nur durch missbräuchliche Anwendung so gefährlich wirken. Dazu kommen gesellschaftliche Fragmentierungen und ablehnende Haltungen zur Demokratie. Was bedeutet das für die heutige Diskussion über Weimar und die Gefahr einer Wiederholung? „Nein, nichts spricht dafür, dass sich Geschichte wiederholen könnte, viel zu speziell waren die inneren und äußeren Bedingungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. Der Teufel geht nicht zweimal durch dieselbe Tür“, schreibt Di Fabio in seinem ebenso fundierten wie lesenswerten Buch.
Udo Di Fabio: Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. Eine verfassungshistorische Analyse
C.H.Beck 2018, 299 Seiten, EUR 19,95
Die Kritik macht neugierig!
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