Von Benedikt Bögle
Claus Strunz dürfte einer der bekanntesten Journalisten in Deutschland sein – und einer der streitbarsten. Der Politikwissenschaftler arbeitete für die Münchner Abendzeitung, anschließend wurde er stellvertretender Chefredakteur der Welt und Chefredakteur der Bild am Sonntag. Anschließend wechselte Strunz zum Hamburger Abendblatt und wurde Ressortleiter des Axel-Springer-Verlags für Videoproduktionen. Nun hat Strunz ein politisches Buch vorgelegt, indem er sich mit der aktuellen Lage Deutschlands beschäftigt: „Geht’s noch, Deutschland?“, erschienen beim Plassen-Verlag, ist eine Abrechnung mit der aktuellen politischen Lage und verspricht „20 Ideen, wie es wieder besser wird“. Das zeigt schon: Gut geht es uns nach Ansicht von Strunz momentan nicht.
Fünf Baustellen listet der Journalist auf, die er in unserem Land sieht: Wir ließen, so sein Vorwurf, unsere Demokratie verkümmern, bräuchten ein neues „Wir-Gefühl“, haben Probleme mit Asyl und Migration, mit dem Schulwesen und dem Umgang mit Verfassungsfeinden. In vielen Beobachtungen wird man Strunz Recht geben müssen. Tatsächlich schleicht sich Politikverdrossenheit ein. Zurecht kritisiert der Autor, dass man sich in der Bundesrepublik bei Wahlen längst daran gewöhnt hat, Wahlbeteiligungen um die 70 Prozent, bei Europawahlen sogar verheerend weniger Wähler zu verzeichnen. Seine Lösung: Strafen für Nicht-Wähler, ein Modell, dass unserer Verfassung wie seinen Müttern und Vätern unbekannt war. Zielführend? Darf bezweifelt werden. Recht hat Strunz mit seiner Ansicht zur Wahl Frank-Walter Steinmeiers zum Bundespräsidenten: Dass die Union aus Angst, ein eigener Kandidat könne nicht gewinnen, erst gar keinen aufstellt, wirft ein dunkles Licht auf Demokratie: „Wahl bedeutet ja eben nicht nur, wählen zu dürfen. Wahl bedeutet vor allem, dass man eine Auswahl haben muss“, schreibt Claus Strunz. Überhaupt sei das Wahlsystem der Bundesversammlung falsch. Neben den Bundestagsabgeordneten sollten einfache Bürger wählen, bestimmt durch das Los. Auch ein solcher Gedanke ist unserer Verfassung fremd – Bürgervertretung allein durch Losentscheid.

Problem sei auch der Regierungsstil von Angela Merkel. „Die Frau, die Helmut Kohl stürzte, hat den Beruf des Bundeskanzlers umgedeutet: Vom Regierungschef mit Richtlinienkompetenz und Haltung hin zur Mainstream-Surferin, die guckt, wo gerade die Mehrheit ist, und dann versucht, die Welle möglichst optimal zu nutzen“, schreibt Claus Strunz. Ein hartes Urteil. Überhaupt ist Strunz hart im Urteil, klar bis reißerisch in der Sprache. Wer konsequente Abschiebungen fordert, muss sich auch intensive Gedanken über die rechtliche Seite machen. Haben nicht auch Menschen mit abgelehntem Asylantrag Anspruch auf rechtliches Gehör? Dürfen nicht auch sie einen behördlichen Bescheid anfechten? Strunz plädiert für ein Einwanderungssystem nach kanadischem Vorbild. Damit steht er nicht alleine, die Idee ist auch nicht wirklich neu – die FDP bestritt damit schon Wahlkämpfe. Ähnlich lesen sich die Ausführungen des Autors zum Bildungssystem in Deutschland. Dass Digitalisierung in den Klassenzimmern ankommen muss, wird nicht mehr substantiell bestritten, sondern wiederum von der FDP unter Christian Lindner schon seit längerem gefordert.
Revolutionär sind die politischen Ideen Strunz‘ also nicht. Und doch zeigt er die Probleme auf, die in Zukunft von der Bundesrepublik gelösten werden müssen. Eindrücklich warnt Strunz etwa davor, unterschiedliche extremistische Strömungen gegeneinander auszuspielen: „Es muss Schluss damit sein, die Tendenzen in den einzelnen Statistiken zur Relativierung der Gewalt auszunutzen. Es ist kein Erfolg, wenn die einen weniger morden als die anderen – jeder Mord ist einer zu viel. Und es ist auch keine positive Hervorhebung wert, wenn die eine radikale Szene weniger Zulauf hat als die andere – jeglicher Zulauf ist eine Schande und ein Mahnmal für die Politik“, schreibt Claus Strunz. Seinen Ideen muss man im Einzelnen sicherlich nicht vorbehaltlos zustimmen. Er selbst sieht sein Buch „nicht als Ende einer Debatte, sondern als Anstoß dafür.“ Und das kann es tatsächlich sein.
Claus Strunz: Geht’s noch, Deutschland? Die schlimmsten Fehler, die unser Land lähmen – und 20 Ideen, wie es wieder besser wird
Plassen 2018, 286 Seiten, EUR 19,99